Wir schreiben das Jahr 2020. Der demografische Wandel hat dafür gesorgt, dass sich der seit den 80er-Jahren postulierte Fachkräftemangel voll entfaltet.
Wie sieht es wohl auf dem Bewerbermarkt aus, wenn sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage zugunsten der Arbeitnehmer gedreht hat? Schauen wir uns einen typischen Montag für Bewerber und Arbeitnehmer im Jahr 2020 an.
Man kennt immer jemanden
Montagmorgen, 04:00 Uhr: Manfred macht sich früh auf den Weg, um von Neubrandenburg rechtzeitig nach Rostock zu kommen. Von dort geht es dann zur Bohrinsel in der Nordsee − seinem neuen Arbeitsplatz. Der Schlossermeister hatte sich nicht auf den Job beworben, sondern wurde von einer Personalberatungsfirma angesprochen. Dass es dazu kam, liegt an Manfreds Nachbar. Der machte seinen Arbeitgeber über das firmeninterne Mitarbeiterempfehlungsprogramm auf den Schlossermeister aufmerksam. Die Firma ist mit dieser Rekrutierungsmaßnahme bereits seit Jahren sehr erfolgreich. Da sie eher zu den unbekannteren Unternehmen zählt, erhält sie auch weniger Bewerbungen – doch die bestehenden Mitarbeiter kennen in ihrem sozialen Umfeld (Freunde, Verwandte, ehemalige Kollegen) viele Menschen mit vergleichbaren Fähigkeiten.
Am Ende hat Manfred nicht nur einen Job; sein Nachbar bekommt für die Empfehlung auch einen Bonus ausgezahlt.
Mit Spaß zum Job
Gegen 08:00 Uhr rekapituliert Bastian das zurückliegende, ereignisreiche Wochenende:
Der Hochschulabsolvent nahm am Wochenende an einer digitalen Wissens-Schnitzeljagd quer durch einige Münchner Bars teil.
In Teams stellten sich Absolventen lokaler Hochschulen mittels Smartphone und Augmented Reality diversen Aufgaben teilnehmender Unternehmen – und lernten so potentielle Arbeitgeber kennen. Dieses Recrutainment ersetzt mittlerweile in weiten Teilen die Assessment-Center, geht es doch nicht nur darum, die Kandidaten auf ihre Fähigkeiten abseits von Zeugnisnoten zu testen, sondern auch den eigenen Unternehmensnamen bei Bewerbern im Gedächtnis zu verankern. Recrutainment, das im Umfeld der IT-Unternehmen als Trend begann, wird mittlerweile auch als ein erstklassiges Employer Branding-Instrument für alle Unternehmensarten verstanden.
Gute Bewerber empfehlen
10:00 Uhr: Jérôme macht sich auf den Weg zu einem Vorstellungsgespräch. Vor zwei Wochen war er im Bewerbungsverfahren bei einem Consultingunternehmen auf dem 2. Platz gelandet – weil sein Chinesisch nicht ganz perfekt war. Doch er hatte die Personaler mit seiner Art und seinem Fachwissen überzeugt. Daher luden sie ihn in einen Talentpool ein und empfahlen ihn damit 55 weiteren Unternehmen der Consulting-Branche in der Region Frankfurt. Nachdem er die Einladung angenommen und seine Bewerbungsunterlagen eingepflegt hatte, dauerte es nur einen Tag, bis sich die ersten Personalverantwortlichen bei ihm meldeten.
Der Mangel an Fachkräften und das Zusammenarbeiten der Unternehmen in Verbänden, Clustern oder Regionen sorgt mittlerweile dafür, dass Unternehmen, die im Bewerbungsprozess auf zwei oder drei gute Bewerber stoßen, aber nur einen einstellen können, die anderen in einen Talentpool empfehlen und so weiteren Unternehmen der Branche oder Region zugänglich machen. Das spricht sich unter Bewerbern schnell herum und so wird gleichzeitig das Arbeitgeberimage der Empfehlenden gesteigert.
Angebot und Nachfrage
Unterdessen verhandelt Andrea mit ihrem potentiellen Arbeitgeber die Konditionen.
Da Andrea für die Stelle von Trier nach Hannover ziehen würde, köderte das Unternehmen sie nicht nur mit der längst selbstverständlichen Übernahme der Umzugskosten, der Beauftragung eines Maklers für die Wohnungssuche, Tickets für den ÖPNV sowie der Organisation der Kinderbetreuung für ihre beiden Töchter, sondern auch mit einer Willkommenszahlung in Höhe eines Nettolohnes.
Dafür verpflichtete Andrea sich, mindestens ein Jahr bei ihrem Arbeitgeber zu bleiben. Danach beträgt die Kündigungsfrist sechs Wochen – für Fachkräfte von Andreas Kaliber eher unüblich.
Kumpels, empfehlt mich mal weiter!
Der PR-Profi Max sitzt in der Mittagspause in seinem Lieblingscafé in Berlin und entschließt sich nach einem weiteren unbefriedigenden Vormittag im Büro, sich einen neuen Job zu suchen – per Twitter.
Er sucht eine neue Herausforderung und was liegt bei der Kommunikations- und PR-Branche näher, als auf die passenden sozialen Netzwerke zu setzen? Da Max verhindern möchte, dass sein aktueller Arbeitgeber sein Stellengesuch wahrnimmt, nutzt er sein Netzwerk. Das anonymisierte Kurzprofil ist schnell angelegt. Innerhalb der nächsten Tage werden nun seine Freunde das Kurzprofil über Twitter, Facebook und per Mail weitertragen – meldet sich ein potentieller Arbeitgeber, kann Max entscheiden, ob er sich diesem zu erkennen gibt oder nicht.
Damit zeigt sich dieser Online-Service als weiteres Tool des Empfehlungsrecruitings. Ein Trend im Bewerbermanagement, der sich durchsetzt, denn die beste Referenz für einen Jobsuchenden ist und bleibt die persönliche Empfehlung.
Videointerview statt Jetlag
Mittlerweile ist es Montagnachmittag. Susanne beeilt sich, um in der Kölner Stadtbibliothek einen ruhigen Arbeitsraum zu finden. Sie hat in ihrer Mittagspause ein Vorstellungsgespräch; genauer gesagt führt sie mittels ihres Smartphones ein zeitversetztes Videointerview. Susanne lebt aktuell in Köln, hat sich aber für einen Job bei einem Dresdner Unternehmen an dessen Standort in London beworben. Um Bewerbungskosten zu sparen, aber auch, um den Zeitaufwand für beide Seiten für das erste Gespräch möglichst gering zu halten, setzt ihr potentieller Arbeitgeber auf Videointerviews. Das Unternehmen legt seine Fragen im Vorfeld fest und Susanne entscheidet, wann sie die Fragen beantworten möchte. Danach können sich die verschiedenen Verantwortlichen im Unternehmen die Antworten ansehen – egal zu welcher Uhrzeit und an welchem Standort.
Jeder ist ein Headhunter
Der Feierabend naht. In Stuttgart stoßen Ute und ihre Kollegin Sarah mit einem Glas Sekt an. Morgen wird Sarah nach Freiburg ziehen; den Job hat Ute ihr vermittelt. Sarah kam als Werkstudentin zum Autobauer und wurde für ein Jahr befristet übernommen. Da sie danach aus Stuttgart wegziehen wollte, war das für sie ideal.
Ute hatte vor einigen Monaten auf einer Konferenz von einer Online-Plattform gehört, auf der Firmen vakante Stellen veröffentlichen und mit einem Kopfgeld versehen. So kann jeder User geeignete Kandidaten vorschlagen und erhält im Erfolgsfall die Prämie.
Sarahs neuer Arbeitgeber hatte als mittelständisches Unternehmen nicht die Mittel, die Stelle von einer Personalvermittlungsagentur besetzen zu lassen und setzte daher auf die Kontakte der Masse, um geeignete Bewerber kennenzulernen – Ute kannte die Beste!
Sicherheitsnetz zieht Fachkräfte an
17:30 Uhr: Kurz vor Ende der Öffnungszeiten schafft es Nikolas noch zur Bank. Er wird demnächst als Ingenieur bei einem kleineren, mittelständischen Unternehmen in Grimma anfangen und muss noch ein Lohn-Kautionskonto einrichten. Die aktuell schlechte Auftragslage in diversen Branchen sorgt dafür, dass Nikolas eine Forderung durchsetzen kann, die seit einiger Zeit besonders bei Start-Ups zu finden ist: die Lohn-Kaution.
Arbeitnehmer sichern sich gegen ausbleibende Lohnzahlungen mit im Immobilienmarkt bewährten Methoden ab. Sie fordern eine Kaution. Bis zu drei Nettolöhne werden den Mitarbeitern im Vorfeld überwiesen oder auf einem Treuhandkonto hinterlegt. Kann der Arbeitgeber den Lohn nicht oder nicht pünktlich zahlen, so ist der Arbeitnehmer abgesichert und kann sich im Zweifelsfall ohne akute Geldnöte nach einem neuen Arbeitgeber umsehen. Durch diese zusätzliche Sicherheit schaffen es auch kleine und mittelständische Unternehmen, gut ausgebildete Fachkräfte für sich zu begeistern und sogar von Konzernen – die mit ihrem bekannten Namen eine Sicherheit versprechen – abzuwerben.
Mit einem Klick zum Job
Unser Montag nähert sich dem Ende. Am Abend sitzt Maike mit ihrem Tablet-Computer im Wohnzimmer. Die Bayreuther Abiturientin geht noch einmal die Liste der Firmen durch, bei denen sie sich bewerben wird. Anders als noch ihre ältere Schwester muss sie dafür nicht jedes Unternehmen einzeln anschreiben oder ihren Lebenslauf auf unzähligen Bewerbungswebseiten hochladen. Dank der One-Click-Bewerbung spart sie wertvolle Zeit: Bei einem zentralen Web-Service hat sie alle Zeugnisse und verschiedene Bewerbungsfotos hinterlegt.
Die Bewerbungswebseiten vieler großer Unternehmen sind mit diesem Service verbunden und so wählt Maike mit nur einem Klick für jede Bewerbung die gewünschten Unterlagen aus. Die Ausfüll-Arien seitenlanger Formulare, wie sie noch vor fünf Jahren üblich waren, gehören damit der Vergangenheit an.
Die Personalabteilungen erhalten die Bewerberdaten in ihr Bewerbermanagementsystem eingespeist und rare Fachkräfte werden bei der Jobsuche nicht von übermäßigem Arbeitsaufwand abgeschreckt – das spart für beide Seiten Zeit und Geld.
Zukunftsmusik?
Auch wenn sich einige Szenarien wie entfernte Visionen lesen, wachsen diese neuen Möglichkeiten schon jetzt rasant in der Wirklichkeit heran und verschaffen Early Adoptern deutliche Vorsprünge vor den Konkurrenten.
// Über diesen Beitrag
Diesen Beitrag habe ich für meinen Arbeitgeber entwickelt, in etwas abgespeckter Form erschien er unlängst im Human Ressources Manager.
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